Der lange Weg zur
Regierungsbildung - DW 25.09.2017
Am Tag nach der Wahl analysieren die
Parteien die Ergebnisse. Am Dienstag stehen in Berlin die ersten Sitzungen der
neu gewählten Fraktionen an. Wann ist mit der Bildung einer neuen Regierung zu
rechnen?
Die Weihnachtsplätzchen standen schon auf
dem Tisch, als nach der letzten Bundestagswahl vor ziemlich genau vier Jahren
die Regierung endlich stand. Koalitionsverhandlungen und die Bildung eines
Kabinetts können sich über viele Wochen hinziehen - genau 86 Tage waren es
2013. Schließlich müssen sich Parteien mit unterschiedlicher Programmatik so
lange einander annähern, bis ein gemeinsames Regierungsprogramm steht. Das kann
dauern.
Auch diesmal könnten die
Koalitionsverhandlungen viel Zeit in Anspruch nehmen: CDU/CSU, Grüne und FDP
haben in einigen Punkten erhebliche Differenzen. Kommt zuerst der Nikolaus oder
die erste Jamaika-Koalition auf Bundesebene? Das steht noch in den Sternen.
Aber alle drei Parteien haben schon vor der ersten Verhandlungsrunde
Kompromissbereitschaft signalisiert. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel geht es
darum, erneut eine stabile Regierung unter ihrer Führung zu bilden. Sollte
das schwarz-gelb-grüne Experiment dennoch frühzeitig scheitern, würden
sich alle Blicke auf die SPD richten. Sie wäre dann aufgefordert, ihr Nein zu
einer Neuauflage der großen Koalition zu überdenken.
Spätestens
30 Tage nach der Wahl
Während Koalitionsverhandlungen lange
dauern können, beginnt der neu gewählte Bundestag zügig mit seiner Arbeit.
Für Dienstag sind die ersten Sitzungen der neu gewählten Fraktionen geplant.
Spätestens 30 Tage nach der Wahl, so will es das Grundgesetz, muss der neu
gewählte Bundestag sich konstituieren. Also spätestens am 24. Oktober.
Bis dahin bleibt die bisherige
Bundesregierung im Amt. Nun kann es natürlich passieren, dass der neue
Bundestag nicht sofort einen neuen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin
wählen kann, weil die Koalitionsverhandlungen noch nicht abgeschlossen sind. In
dem Fall wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Bundeskanzlerin Angela
Merkel und ihr Kabinett bitten, die Amtsgeschäfte weiterzuführen, bis die Wahl
stattgefunden hat.
Nie
war ein Bundestag größer
Der neue Bundestag wird mit 709
Abgeordneten der größte in der Geschichte der Bundesrepublik sein. Zuletzt
saßen 630 Abgeordnete im Parlament. Grund ist das komplizierte deutsche
Wahlrecht, das sogenannte Ausgleichs- und Überhangmandate vorsieht. Der
scheidende Parlamentspräsident Norbert Lammert hatte eine Begrenzung auf
maximal 630 Abgeordnete gefordert, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.
Geklärt werden muss jetzt, wo die sechs Fraktionen im Plenum sitzen werden. Dass
die rechtspopulistische AfD - vom Parlamentspräsidenten aus gesehen - rechts
außen sitzt, ist noch nicht ausgemacht. Dort saß von 1949 bis 2013 stets die
FDP.
Änderung der
Geschäftsordnung
Dem neuen Parlament werden erstmals 94
Abgeordnete der rechtspopulistischen AfD (Alternative für Deutschland)
angehören. Schon vor der Wahl hatte der absehbare Einzug der AfD Wellen im
Bundestag geschlagen: Als ruchbar wurde, dass der älteste Abgeordnete des neuen
Bundestags womöglich ein AfD-Kandidat sein würde, änderte das Parlament
kurzerhand seine Geschäftsordnung.
Denn bislang kam dem ältesten
Abgeordneten das Privileg zu, als sogenannter Alterspräsident die
konstituierende Sitzung des neu gewählten Bundestags zu leiten, in der der
Parlamentspräsident und seine Stellvertreter gewählt werden. Nach der alten
Geschäftsordnung hätte diese Aufgabe der 1940 geborene AfD-Politiker Wilhelm
von Gottberg übernehmen dürfen. Dem schob der Bundestag einen Riegel vor: Nicht
der lebensälteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete solle Alterspräsident
werden, beschloss das Parlament im Juni. Andernfalls bestehe die Gefahr,
"dass ein neu gewählter Abgeordneter ohne jegliche Erfahrung" die
erste Sitzung leite.
Das wird nun nicht passieren: Nach der
neuen Regelung hat ein äußerst erfahrener Parlamentarier den ersten Zugriff auf
das Amt des Alterspräsidenten: Der 75-jährige Finanzminister Wolfgang Schäuble
(CDU), der seit 45 Jahren im Bundestag sitzt und das Direktmandat in seinem
Wahlkreis Offenburg wieder gewonnen hat.
AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland
warf den anderen Parteien daraufhin vor, aus "Angst vor der AfD" zu
Tricksereien zu greifen. Unklar ist auch noch, ob die AfD-Fraktion einen
Bundestags-Vizepräsidenten stellen wird und in welchen Ausschüssen sie den
Vorsitz übernehmen könnte. Nach einer alten parlamentarischen Tradition steht
der stärksten Fraktion, also CDU/CSU, das Recht zu, die Kandidatin oder den
Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten zu benennen.
Bundestag
wählt Bundeskanzler(in)
Die wichtigste Amtshandlung des neuen
Parlaments ist die Wahl des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin. Er oder
sie wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten ohne Aussprache und in geheimer
Abstimmung gewählt. Zu einer erfolgreichen Wahl benötigt die Kanzlerkandidatin
oder der Kanzlerkandidat die absolute Mehrheit der Abgeordnetenstimmen, die
sogenannte "Kanzlermehrheit". Bisher wurden alle
Regierungschefs - auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihren drei
bisherigen Wahlen - bereits im ersten Wahlgang gewählt.
Sollte dies nicht geschehen, dann sieht
die Verfassung weitere Wahlgänge binnen 14 Tagen vor und legt vor mögliche
Neuwahlen noch eine weitere Hürde: Bei der letzten Abstimmung kann gewählt
werden, wer die meisten Stimmen erhält. Sollte die Zahl der Stimmen
geringer sein als die Mehrheit der Abgeordneten, dann entscheidet der Bundespräsident
darüber, ob er den Gewählten ernennt oder den Bundestag auflöst.
Dass dies passiert, ist äußerst unwahrscheinlich.
Sicher ist aber, dass die Regierungsbildung nicht einfach werden wird. Zunächst
müssen die Parteien sich intern auf ihre Verhandlungsteams und
Verhandlungslinien einigen - und angesichts des riesigen Medieninteresses dann
einen Ort finden, an dem sie ungestört konferieren können. Vor vier Jahren
waren das die Räume der Parlamentarischen Gesellschaft, die durch einen
unterirdischen Gang mit dem Reichstagsgebäude verbunden sind. Dort sprachen
zuerst CDU/CSU und Grüne miteinander, kamen aber zu keinem Ergebnis. Am Ende
stand dann die große Koalition mit der SPD.
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