Dienstag, 5. Dezember 2017

Lectura 48 - Enzensberger über Tourismus

No es solo el sistema

Quellen : als Taschenbuch erschienen Einzelheiten I, Bewußtseins-Industrie / Frankfurt am Main, Suhrkamp 1966 .- Siehe auch http://www.zeit.de/2009/12/Enzensberger-Gedichte?wt_zmc=sm.ext.zonaudev.mail.ref.zeitde.share.link.x

Escritura militante: solemos aceptar ese nombre solo para la “crítica antisistema”. Las opiniones conformistas, conservadoras o elusivas reciben el mote de “publicidad suasoria”.  ¿Qué pensar acerca de planteos denunciadores de “industrias culturales” y formas multitudinarias de “diversión”, como los que ha venido publicando Hans Magnus Enzensberger? Las sucesivas ediciones de sus cuestionamientos han sido difundidas (con obvia ganancia pecuniaria) por las mismas empresas e instituciones puestas en entredicho, a las que ese autor responsabiliza de la hipnosis cultural del público “occidentalizado”. Simultáneamente ejerce como poeta con igual afán iconoclasta. Escriba desde el pesimismo,  el resentimiento o una voluntad  correctora, su inconformismo parece genuino y lo expresa en buen alemán aunque a veces en deliberada contradicción con las últimas reglas de la Rechtschreibung.
He aquí fragmentos y resúmenes tomados de fuentes más arriba citadas. (entrecomilladas las citas textuales; lo demás, reconstruido a partir del original).

« In seinem eigenen Bewußtsein dünkt ein jeder sich souverän … Denn der Aberglaube, als könne der einzelne im eigenen Bewußtsein, wenn schon nirgends sonst, Herr im Haus bleiben, ist heruntergekommene Philosophie von Descartes bis Husserl, … Idealismus in Hausschuhen »  -« Das Bewußtsein ist von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren » [K. Marx, Die deutsche Ideologie].
 « Die Bewußtseins-Industrie ist ein Kind der letzten hundert Jahre… Sie ist die eigentliche Schlüsselindustrie des zwanzigsten Jahrhunderts… »

Vier seien die Bedingungen ihrer Existenz : 1. Aufklärung im weitesten Sinne ; 2.Die Proklamatiom (nicht die Verwirklichung) der Menschenrechte, der Gleichheit und der Freiheit ; 3.Steigender Lebensstandard der Mehrheit aller Staatsbürger, bei sinkender Arbeitszeit ; 4.Der technische Aufschwung in der Funk-, Film-, Phono- und Fernsehtechnik. Die Entwicklung dieser vier Bedingungen veränderte die soziale Rolle des Intelektuellen. Er hat mit Bestechungs- und Erpressungsversuchen zu rechnen. Er wird unter jedem politischen System zum Komplizen jener Kulturbranchen und der etablierten Herrschaft ihrer Hersteller.
Enzensberger nimmt zuerst eine der wichtigsten Tageszeitungen Deutschlands unter die Lupe : die FAZ, also die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Dann, die einflussreiche Zeitschrift Der Spiegel, das Scherbenbild einer Wochenschau [noticiero semanal cinematográfico], die Massenproduktion der Taschenbücher, die Aufstellung von Bestseller-Katalogen und die Verknüpfungen des Massen-Tourismus mit den anderen Fakten der Produktion und des Vertriebs.

Hier ein Auszug (Ausschnitt, Extract,) des Essays "Eine Theorie des Tourismus" :
« Die Wörterbücher meldeten für das Jahr 1800 das Auftauchen des « Touristen », für das Jahr 1811 das des « Tourismus ». Diese Neubildungen sind, keineswegs zufällig, … der englischen Sprache zu verdanken ». Seine Geschichte ist immer noch nicht vollends geschrieben worden. Seine Erscheinungen werden kritisiert und mit Hohn überschüttet. Oft nimmt die Tourismuskritik einen reaktionären Ton an, besonders wenn seine gesellschaftlichen und landschaftlichen Auswirkungen verpönt werden.

Doch zählt das Reisen zu den ältesten Handlungen des menschlichen Lebens, aber nicht als Selbstzweck. « Im frühesten Hebräisch waren die Worte « Kaufmann » und « Reisender » synonym. Die Nomaden wandern um Nahrung oder Beute zu suchen, vielleicht auch aus Volkssitte. Die Piraten, um Fremde Städte und Schiffe zu überfallen und danach zu fliehen. Die Lehrlinge, um einen besseren Meister zu suchen. Die jungen Kavaliere, um des Ruhmes willen oder einer Dame zu gefallen ; vielleicht auch in der Absicht, im Heer eines großen Adligen zu dienen.

Zur Blütezeit des Merkantilismus (18. Jahrhubdert) wurden die ersten Guides des Voyageurs (Vorläufer der heutigen Reiseführer) veröffentlicht, dann 1836 das erste Red Book von John Murray und drei Jahre später der deutsche « Baedecker ». Die Pilgerstätten, besonders die Stadt Rom, wurden aus Anlass eher kultureller als religiöser Interessen besucht. Die bürgerlichen Aufstände pflanzten dem einzelnen ein Freiheitsbewusstsein ein, das öfter zur Auswanderung führte. Aber der politischen Revolution entsprachen Verwandlungen in der Produktionsweise, die bald einen neu organisierten Welthandel verursachten. Damit hing der technologische Fortschritt zusammen, besonders der Ausbau eines weltumfassenden Straßen- und Eisenbahnsystems, das auch dem Tourismus zugute kam.

Der aufkommende Romantizismus des 19. Jahrhunderts projizierte in ferne Inseln und Länder den Wunschtraum mancher Utopisten und Naturliebhaber, und dies könnte sehr gut als eine Flucht vor der industriell verseuchten und verschmutzten Realität verstanden werden. Man versucht, das Netzwerk der komplizierten Großstädte loszuwerden und dadurch fallen die Leute in das Netz des organisierten Tourismus. Bedenken wir auch das Aufkommen neuer Sportarten: Alpinismus, Segelfahrt, Camping, sowie die Ausbreitung der Sozialrechte wie bezahlter Urlaub, Reisekredit usw.

Dieser Trend brachte einen Aufschwung der Reisebüros nebst einer weltumfassenden Organisation des Tourismus, dessen Betreiber bald eine Normierung der Reiseziele erzwingen und somit die « Sehenswürdigkeiten » bestimmen konnten. « …Die Reise wurde fertig montiert und verpackt geliefert ». Viele waren neugierig auf die Lebensverhältnisse und Sitten der Menschen anderer Länder, die vielleicht als « malerisch und primitiv » bezeichnet wurden. Da fiel es bestimmten Reisebüros ein, sogar Besichtigungen  auf Armenviertel im eigenen Land zu veranstalten!


Mit dem modernen Reisefieber geht auch ein neues Hotelwesen Hand in Hand, sowie das Wachstum der Reklame und sogar der Reiselektüre. Die Spannungen des Abschieds und der Heimkehr bieten anschließende Gelegenheiten zur Nervenzerrüttung. Wehe dem Zurückkommendem, der die Geschenke von Übersee vergisst !



Vokabular:  [dünken : Verb · dünktehat gedünkt / veraltend Verb · deuchtenhat gedeuchtes dünkt mich, mir⟩ es scheint mir - es dünkte ihn ( ihm) gut, hier zu helfen                                           


sich etwas dünken  sich etw. einbilden, eine übertrieben hohe Meinung von sich selbst haben


[Stätte f.‘Stelle, Ort’ : eine freundliche, ruhige, gastliche, einsame, leere, verlassene Stätte -  eine Stätte der Arbeit, des fröhlichen Beisammenseins                                   die Stätten seiner Kindheit aufsuchen = sitio, lugar, punto, paraje ]

Hans Magnus Enzensberger



Ein Gedicht (Fragm) : Alter Schuppen – (el viejo galpón )


Das waren Zeiten Ein Überfluß war das! Jeder von uns besaß seinen eigenen Stuhl, und es waren noch ein paar übrig für müde Ausländer, die sich ausruhen wollten. Unsre Gebisse waren wie neu. Versicherungen hatten uns fest im Griff, Vollbäder standen uns zur Verfügung jahraus jahrein, und manchmal sandten wir Geld und kaum getragene Jacken an weit entfernte Personen. Natürlich waren wir unbeliebt. Ohne mit der Wimper zu zucken, bestiegen wir Automobile und Aeroplane. Überall gab es Sicherheitsschleusen. Gehorsam zogen wir unsere Schuhe aus. Für den Fall, daß uns einer falsch kam, lauerte im Treppenhaus eine Schar von Anwälten. Sogar den Krankheiten ging es immer besser. Aber wir bissen die Zähne zusammen und hielten durch. Die Kandidatur für Michael N. Geschwind, geschwind! riefen uns, über die Brüstung gebeugt, die Großmütter zu – ein Wort aus verschollenen Fibeln –, um uns anzuspornen. Aber es hat nicht geholfen. Eile mit Weile, ermahnten uns andre. Die Zugpferde lahmten, und wir hingen schlaff auf dem Bock. Die Astrologin hatte uns gewarnt, allein wir wollten nicht hören. Zu beschönigen gebe es nichts, äußerten die Parteifreunde in der Elefantenrunde. Nur unsre Schwiegertöchter – die eilten herbei, küßten uns und gratulierten zum Rücktritt. »Euer breites Siegerlächeln vor all den Kameras«, versicherten sie, »hätten wir nicht ertragen.«

…Ebenso nimmt Enzensberger im Lob des Analphabetentums eine völlig neue Perspektive ein und kritisiert das gern angewandte Mitgefühl für Analphabeten. Er schenkt der Tatsache Beachtung, dass jeder sechste der Weltbevölkerung weder lesen noch schreiben kann, und dass, wenn man die Vergangenheit in die Überlegung miteinbezieht, Analphabeten nicht die Minderheit sondern die Mehrzahl bildeten. Die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, gelangt demnach erst durch gesellschaftliche Konventionen zu Wert und scheint nicht ein generelles Kriterium für das glückliche menschliche (Über-)Leben zu sein.

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Hans Magnus Enzensberger: Büchnerpreisrede 1963 / Hans Magnus Enzensberger. Mit einem Essay von Friedrich Dieckmann. Hamburg: Europäische Verlags–Anstalt 1992. 86 Seiten. [Quelle : http://enzensberger.germlit.rwth-aachen.de ]

Der erste Teil seines Essays beschreibt die Vereinigung der drei deutschen Westzonen, die damit verbundene Spaltung Deutschlands und somit die Vorgeschichte der endgültigen Teilung Deutschlands. Im zweiten Teil schildert er die Situation Deutschlands ein Jahr nach der Herstellung der „deutschen Staatseinheit“. In Anlehnung an Enzensbergers Rede meint Dieckmann, dass das Wir–Sagen nach der Wiedervereinigung noch schwieriger geworden sei (S. 25). Im Abschnitt „Aporien der revolutionären Identität“ wird ein Text(ausschnitt) aus Enzensbergers Essay „Berliner Gemeinplätze“ vorgestellt. Auch in seiner Rede thematisiert Enzensberger das „WIR“–Gefühl der Deutschen. „Wir nämlich wissen kaum, was das heißen soll: Wir.“ (S. 7) 1963, als die Berliner Mauer stand und Deutschland in zwei Staaten geteilt war, setzte sich Enzensberger mit der Identitätsfrage auseinander: „Mit wem oder womit sind wir identisch?“(S. 12). Anhand dieser Identitätsfrage beleuchtet er die Feindschaft im „geteilten Deutschland“ genauer. Er berichtet über den Bau der Mauer und die Folgen für das deutsche Volk. „Die Mauer trennt nicht nur Deutsche von Deutschen, sie scheidet uns alle von allen anderen Leuten. Sie verbarrikadiert nicht nur eine Stadt, sondern unsere Zukunft. Sie bildet nichts ab als uns selbst: das, was wir noch gemeinsam haben. Das einzige, was wir miteinander teilen, ist die Teilung. Die Zerrissenheit ist unsere Identität.“ (S. ??) Dieckmann schreibt dazu: „Die Aufforderung zur Bewusstseinsprüfung, die von der Betongrenze ausging, ist mit größerer Deutlichkeit, auf größerer Höhe der Sprache und des Gedankens nicht formuliert worden als in Hans Magnus Enzensbergers Büchnerpreisrede. Diese große politische Rede entschlägt sich des Instrumentariums politischer Rhetorik ebenso wie dem der Explikation historischer Zusammenhänge und sozialer Verhältnisse.“ (S. 44)

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