Donnerstag, 7. Dezember 2017

Lectura 50 - die Berliner Kuppe, eine Ezählung

Lied « Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin » https://www.youtube.com/watch?v=d-BLoI-0aFc

Berliner Kuppe, eine Erzählung von Wladimir Kaminer

Quelle des Textes  https://www.goethe.de/ins/es/de/kul/sup/lit/int/ber.html            „Ich bin kein Berliner. Ein Reiseführer für faule Touristen“, von Wladimir Kaminer              

Kuppe f. ‘abgerundeter Gipfel, gerundetes Endstück’. Gipfel’ sowie ahd. . ‘Kopfbedeckung, angeführten germ. Formen entlehnt aus spätlat. cuppa  (vgl. präzisierende Zusammensetzungen wie Bergkuppe,Fingerkuppe, Nagelkuppe).

Die Kuppe: rundlicher oberer Teil eines Berges; rundlicher, stark gewölbter Berggipfel;                    [die kleine Berliner Bergkuppe ist genau da, wo früher die Berliner Mauer verlief = una colina]rundlicher oberer Teil eines Fingers; Fingerkuppe er klopfte mit der Kuppe des Zeigefingers auf den Tisch ; - vor dem Umblättern leckte ich die Kuppe sorgfältig naß [M. WALSERHalbzeit209] oberster Teil des Fingernagels oder Zehennagels - die schön gewölbten Kuppen der Fingernägel [HESSE, Narziß u. Goldmund 5,304]

Lesestück A1 - Ein weitverbreiteter Spruch lautet: „Berlin ist nicht Deutschland.“ Dem stimme ich zu. Wer Deutschland sehen will, der muss in den Wald gehen. Zweiundachtzig Millionen Menschen leben in der Bundesrepublik sehr kompakt auf zwölf Prozent ihres Territoriums, einschließlich Verkehrsflächen. Die restlichen Prozent sind Wälder und Felder, Seen und Flüsse. Eigentlich ein idealer Fleck zum Urlaubmachen. Trotzdem gelten die Deutschen als reiselustigste Nation der Welt. Jedes Mal wenn die Urlaubszeit ausbricht, verlassen sie ihre heimischen Kurorte und suchen das Weite. Die Bürger der ehemaligen DDR hatten ihr Recht auf Urlaub im Ausland 1989 sogar zu einer politischen Forderung gemacht. Sie gingen auf die Straße mit Plakaten wie „Visafrei nach Hawaii“ oder „Ohne Scham nach Pakistan“ (na gut, das zweite hab ich mir ausgedacht) und errangen damit die deutsche Wiedervereinigung.

„Wie war’s denn? Das erste Mal auf Hawaii?“, wollte ich meine Ostberliner Bekannten fragen, fand aber niemanden, der tatsächlich nach Hawaii gefahren war. Vielleicht sind die ersten ostdeutschen Hawaiitouristen gar nicht mehr zurückgekommen? Dabei hatte die DDR so viele Urlaubsmöglichkeiten zu bieten. Ihre naturparadiesischen Landschaften haben noch heute den höchsten Attraktivitätsindex: Mecklenburgische Seenplatte, Leipziger Tieflandsbucht, Thüringer Wald... Was man hat, schätzt man jedoch nicht.

El título del libro de Kaminer alude con ironía a la frase que pronunció Kennedy durante el bloqueo de los accesos a la ciudad (Ich bin "ein" Berliner)


Deutungen : (was bedeuten die folgenden fett gechriebenen Wörter ?) :



·         Dem stimme ich zu.= (bin damit einverstanden – zustimmen)                                                              82 Millionen Menschen leben in der Bundesrepublik sehr kompakt auf zwölf Prozent ihres Territoriums, einschließlich Verkehrsflächen.  =  (inklusive)                                                                 Trotzdem gelten die Deutschen als reiselustigste Nation der Welt. = (alle sind der Meinung, sie reisen gerne)  Jedes Mal, wenn die Urlaubszeit ausbricht, verlassen sie ihre heimischen Kurorte  =  (plötzlich beginnt)
·         Sie gingen auf die Straße mit Plakaten wie „Visafrei nach Hawaii“ [...] und errangen damit die deutsche Wiedervereinigung.  =  (erreichten mit höchster Anstrengung)                                        Das zweite habe ich mir ausgedacht.  = (habe es mir frei vorgestellt oder erfunden)




Lesestück B2 - Heute ist der Traum von Fernreisen im Großen und Ganzen ausgelebt, die veränderten Arbeitsbedingungen, die uneingeschränkte Freizeit auf Lebenszeit geben einem Urlaub zu Hause neuen Sinn.
In den Jahren nach dem Mauerfall wurde Ostdeutschland außerdem dermaßen schick herausgeputzt, dass es nun reif für jeden anspruchsvollen Reisekatalog ist.
Insofern wundert es nicht, dass die Ostdeutschen ihren Urlaub wieder zu Hause verbringen, während sie zur Arbeit in den Westen fahren.
Gleichzeitig werden ihre ostdeutschen Moor- und Heilbäder, die alten Schlösser und Kirchen gerne und häufig von westdeutschen Rentnern besucht, die busweise durch Brandenburg oder Sachsen touren.
Auf Kurortebene hat sich die Wiedervereinigung überall vollzogen, nur in Berlin ist die Lage noch nicht so erfreulich.
Die deutsche Hauptstadt fehlt in der allgemeindeutschen Kurort-Tauglichkeitstabelle komplett, sie kann gerade noch in der unteren Spalte "festlegbare landschaftliche Vielseitigkeit" einen Platz finden.
Erforderlich dafür sind "ein geringer Waldanteil und Vorhandensein von Wasser oder mindestens einer Bergkuppe".
Diese unsichtbare Berliner Bergkuppe steht exakt dort, wo früher die Mauer verlief. Auf beiden Seiten des Berges leben Menschen, die nicht gern klettern. Und so bleiben die meisten unter sich.“

Übung: Heute ist der Traum von Fernreisen im Großen und Ganzen , die veränderten Arbeitsbedingungen, die uneingeschränkte Freizeit auf Lebenszeit geben einem Urlaub zu Hause neuen Sinn. In den Jahren nach dem Mauerfall wurde Ostdeutschland außerdem dermaßen schick  , dass es nun reif für jeden anspruchsvollen Reisekatalog ist.
  wundert es nicht, dass die Ostdeutschen ihren Urlaub wieder zu Hause verbringen, während sie zur Arbeit in den Westen fahren. Gleichzeitig werden ihre ostdeutschen Moor- und Heilbäder, die alten Schlösser und Kirchen gerne und häufig von westdeutschen Rentnern besucht, die  durch Brandenburg oder Sachsen touren.
Auf Kurortebene hat sich die Wiedervereinigung überall vollzogen, nur in Berlin ist die Lage noch nicht so  
.
Die deutsche Hauptstadt fehlt in der allgemeindeutschen Kurort-Tauglichkeitstabelle komplett, sie kann gerade noch in der unteren Spalte „festlegbare landschaftliche Vielseitigkeit“ einen Platz finden. 
 dafür sind „ein geringer Waldanteil und Vorhandensein von Wasser oder mindestens einer Bergkuppe“. Diese unsichtbare Berliner Bergkuppe steht exakt dort, wo früher die Mauer verlief. Auf beiden Seiten des Berges leben Menschen, die nicht gern klettern. Und so bleiben die meisten unter sich.   [mit Synonimen ergänzen]

Lesestück C3 - Daneben habe ich bemerkt, dass die gerissensten ostdeutschen Geschäftsmänner immer ostdeutsche Steuerberater haben. Ich habe mit den Steuerberatern auf beiden Seiten des Berges bereits Erfahrungen gemacht und weiß daher, wie unterschiedlich sie sind. Die westlichen haben in der Regel einen großen Empfangsraum und mehrere Sekretärinnen, die alles notieren, was der Chef sagt, selbst wenn er nur hustet oder von seinem Urlaub auf Hawaii erzählt. Der westliche Steuerberater macht immer den Eindruck, als hätte er selbst mehr Kohle als all seine Kunden zusammen. Das verunsichert den ostdeutschen Geschäftsmann und sorgt für Minderwertigkeitskomplexe. Außerdem versteht er oft nicht, was der Berater ihm rät. Der östliche Steuerberater sieht aus wie ein ehemaliger Unteroffizier der NVA, läuft in einer Lederjacke durch die Gegend, kann tätowiert beziehungsweise leicht gepierct sein und empfängt seine Klienten gern in einer Kneipe. Dabei kommt er gleich zur Sache. "Dat würde icke an deiner Stelle anders machen, denn wenn die kommen, schauen sie sich dit und dat an."
Und jedem ostdeutschen Geschäftsmann ist sofort klar, was damit gemeint ist.
Genauso verhält es sich hier auch mit den Kinderärzten, Lebensmittelverkäufern, Saunamitarbeitern und Diskothekenbesitzern. Und wenn man zu einem Taxifahrer aus dem Westen sagt "Fahren Sie mich bitte ins Zentrum", landet man fast immer irgendwo am Ender der Welt – in Charlottenburg.
Erst in den letzten Jahren ist der Prozess der Annäherung langsam in Gang gekommen – durch den Ausbau der berlintypischen landschaftlichen Attraktivitäten und die damit verbundene Migration der Arbeitskräfte aus dem Westen. Diese Arbeitskräfte machen sich sofort die regionalen Sitten und Gebräuche zu eigen und sind schon nach kurzer Zeit als Wessis nicht mehr erkennbar. So erfuhr ich, als ich mit diesem Kapitel fertig war, dass mein tätowierter Steuerberater, der so perfekt berlinern konnte, in Wirklichkeit aus Heidelberg kam. Ein Schock.

Lesestück D4 - „Neulich musste ich einen Umweg fahren, über den Westen“, hört man, oder: „Ich kenne da einen Arzt im Osten.“ --
„Wo wohnen Sie denn? Ist das noch Osten oder schon Westen?“, fragte mich neulich eine Beamtin im Landeseinwohneramt, als ich dort eine Einladung für meine Petersburger Freunde bestätigen lassen wollte. „Ich wohne in Berlin“, sagte ich. „Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass die Mauer vor sechzehn Jahren gefallen ist.“ „Nein, das ist mir nicht entgangen“, die Beamtin blickte mir tief in die Augen, „denn ick muss jeden Abend nach Wedding durch den Osten fahren.“ Irgendwas hatte sie gegen den Osten. „Ach Sie wohnen in Wedding? Schön, so orientalisch“, konterte ich.

kontern : jmdm. scharf entgegentreten - ‘einen Angriff abfangen und selbst angreifen, schlagfertig entgegnen, ein Druckbild umkehren’, im 20. Jh. als Fachwort des Boxsports aus engl. to counter ‘mit einem Gegenschlag beantworten’ entlehnt, einer Bildung zum Adv. engl. counter ‘gegen, entgegen’ (aus gleichbed. afrz. contre, lat. contrā). Die dt. Schreibweise zeigt Angleichung des Verbs an die Präfixbildungen mit konter- (aus frz. contre-). Zum Verb kontern (und nicht mit dem Präfix konter-) ist das Kompositum  Konterschlag m. (20. Jh.) gebildet.




Lesestück  E5 - Im Nachhinein war mir dieser plötzlich ausgebrochene Ostpatriotismus etwas peinlich. Auch bei uns hinterm Berg führen die meisten ein Leben in der vertrauten Ostumgebung und sind so gut wie nie drüben.
Ein Freund von uns lernte vor einem Jahr eine Westberlinerin auf Ibiza kennen, sechs Monate später zog sie bei ihm ein.
„Warum fährst du immer nach Charlottenburg zum Frisör?“ regte er sich auf. „Das ist doch pure Zeit- und Geldverschwendung!“
Er selbst ging seit zwanzig Jahren zu seinem Ostfriseur, dem besten auf dieser Seite – ein Udo Walz des Ostens, zuverlässig und preiswert. Früher soll er sogar Honecker und dem gesamten Politbüro die Haare geschnitten haben, erzählte unser Bekannter. Trotz dieser Antiwerbung ging seine Freundin hin.




Eine Deutung :  Also ich finde, das hat nichts mit Ost-West-Vorbehalten zu tun. Es ist wirklich schwer, einen guten Frisör zu finden, und wenn  endlich einen gefunden hat, darf man ihn  wieder hergeben! Also ich würde ganz gleich , ich fahre ja auch ohne  schon 40 Minuten zu meinem Friseur, aber dafür bin ich danach immer zufrieden! Er ist zwar ein bisschen teurer, aber meine  ist definitiv das Geld und die Zeit wert.  [ergänzen]


Zwei Kommentare :   susesu: Berlin ist eine Stadt, mit einem Bürgermeister, da ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis sich alle Berliner als Berliner fühlen. Egal ob sie im Osten oder Westen wohnen. Also ich glaube, dass die Veränderung, von der Herr Kaminer spricht, von der politischen Einheit ausgeht. Natürlich hat auch die Tatsache, dass Berlin wieder Hauptstadt ist, damit zu tun. Die Regierung sitzt in Berlin, auch das eint!
m.richter: Ich glaube eher, dass die Annäherung durch Migration kommt. Wie viele Berliner gibt es denn noch in Berlin? Nicht nur Westberliner sind wegen der billigen Mieten in den Osten gezogen, auch Bayern, Hessen, Türken, Polen und Italiener. Die haben die DDR nicht miterlebt, für die sind nur die billigen Mieten und das billige Essen wichtig. Deshalb verändert sich Berlin und wächst zusammen, Berlin ist nicht mehr Ost und West. Berlin ist multikulti und das ist gut so.


Was meinte dazu ein Politiker? - „Die Angewohnheit , in den kalten Monaten in den Süden zu fahren, ist zu uns aus dem verdorbenen Westen gekommen“, sagte diese Woche der russische Tourismusminister (er hat selbst zwei Häuser auf Seychellen). „Unsere Vorfahren“, sagte er, „sogar die Wohlhabenden, hatten ihre Freizeit gerne in dem heimischen Schnee verbracht“.  Er riet seinen Landleuten ab, zum Urlaub in die Türkei oder gar Ägypten zu fahren. Lieber Minister, Du irrst. Unsere Vorfahren, auch die Wohlhabenden, saßen mal auf den Palmen und aßen Bananen zum Frühstuck, bevor die Pole schmolzen.    


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Esta "insustancial" lectura permite ejercicios de interpretación textual y a la vez imaginar algunas tragicómicas prevenciones recíprocas que se instalaron entre "Ossis" y "Wessis" durante los años que duró la división de Alemania después de la derrota final en 1945. Sugerimos aventurar hipótesis explicativas.